Sonntag, 11. Mai 2008
Teil 1. Das Spiel. La partie. [Das Buch]
Vorwort:
Das Gleiche ist nicht Dasselbe. Das ist man sicher. Eine deutsche Biographie über die Kollektivschuld? Nein! Eher über die kollektive Unschuld? Das muss jeder selbst entscheiden. Man wird sehen. Eine Erzählung, die nicht bedrückend und anklagend sein will, sondern erfreulich offen, erfrischend und unterhaltsam sein möchte. Die aus dem Inneren erzählt, was draussen vor sich geht. Die den langsamen Weg der schüchternen Annäherung erzählen möchte. Die seltsame Auseinandersetzung mit der Schuld die zugleich auch eine Unschuld ist. Und welche Blüten diese so treibt. Die Schuld und/oder Unschuld. Die Unwissenheit über die Schuldfragen. Die Naivität im Umgang mit der Unschuld. So eine Art Romeo und Julia auf Länderebene. Eine francophile Familie in Deutschland. Eine francophile Familie in Frankreich. Der Ernst des Lebens, die beiden Seiten, sehr einseitig betrachtet. Ein Rückblick in die Begegnung zweier Kulturen, zweier Nachbarn, zweier Erzfeinde, zweier Geschichten die nicht enden wollen und immer weiter fortgeschrieben werden. Ein Rückblick, der zugleich einen Einblick über den Status gewährt und einen Ausblick zulässt. Zwei die sich am Ende lieben müssen. Sicherlich auch werden. Wenn genügend Gras über die Sache gewachsen ist. Wie die eigene Lebensgeschichte beweist. Damit es ein europäisches Happy-End auf der ganzen Linie gibt. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Helmut und Giscard. Helmut 2 und Francois. Die EU. Der G7 Gipfel. Völler in Frankreich. Alles wäre umsonst gewesen. Aus der einfachen Sicht des Spiels, dass nicht nur ein Spiel sein kann. Aus der einfachen Sicht eines Lebens. Aus der einfachen Sicht der Gegensätze, Beobachtungen und der daraus resultierenden Biographie. Deutschland : Frankreich. Und warum Gegensätze sich doch vielleicht anziehen. Warum Anziehendes sich so abstoßen kann. Deutschland will und braucht so dringend deine uneingeschränkte Liebe - Frankreich. So sehr. Stoß uns nicht zurück. Bitte zier dich nicht so. Stell dich nicht so an. Vergebe uns. Liebe uns. Denn wir wollen dich so gerne lieben. Denn, wenn Du uns lieben kannst, dann sind wir endlich befreit. Befreit von einer Schuld, die uns nicht loslässt. Denn wenn Du uns liebst, dann ist unsere Unschuld besiegelt. Nach nichts mehr sehnen wir uns. Also, das Spiel kann beginnen.
Zudem konnte er unmöglich jeden Tag an exakt derselben Stelle so genau die Nummer wieder notiert haben. Aber sie war jeden Tag da. Vielleicht ist das seine Telefonnummer oder sein Geburtstag? Menschen in dem Alter vergessen doch so viel. Eine praktische Idee, dachte ich mir. Eine Nummer? Tätowierungen kannte ich natürlich auch. Aber wer tätowiert sich eine Nummer auf den Arm? Das ergibt doch keinen Sinn. Herzen, Messer, Frauennamen. Aber eine Nummer? Man stelle sich mal vor, es wäre seine Telefonnummer und die würde sich ändern. Ich hatte mir in meinem kurzen Leben schon verschiedene merken müssen. Wie viele wären das erst, wenn man steinalt ist. Der Arm müsste voller Nummern sein. Als ich meinem Vater davon erzählte und nach der Nummer fragte, wurde mir schnell klar, dass die Nummer eine gänzlich andere Bedeutung hatte. Mein Vater erklärte mir dann sehr umständlich, was das für eine Nummer war. Bis dahin war mir die Existenz von Konzentrationslagern nicht bekannt. Ganz verstanden habe ich das damals nicht auf Anhieb. Nur so viel, dass wir deutschen viele Menschen in Unterbringungen festgehalten haben, gegen ihren willen, in denen es den Insassen sehr schlecht ging. So schlecht, dass viele verstarben. Von Krematorien hatte mein Vater zu diesem Zeitpunkt noch nichts erzählt. Von 6 Millionen Juden auch nichts. Er wollte sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf die Erklärung zur Nummer. Und weil das so viele in diesen Konzentrationslagern waren, hat man der Ordnung halber alle durchnummeriert. Wie gesagt, was sich hinter dieser einfachen Erklärung wirklich verbarg, verstand ich erst einige Jahre später, als ich den Film“ Deutschland im Nebel“ sah. Ein Schock. Seit dem habe ich nie mehr die Nummer auf diesem Arm aus dem Kopf bekommen. Er war da. Er hat es überlebt. Er kam zurück. Aber plötzlich lag trotzdem ein kleines Schuldgefühl auf meinen jungen deutschen Schultern. So als ob einen eine leichte Müdigkeit befallen hätte. Man musste ständig daran denken nicht einzunicken. Diese Schuld war immer da, wie ein neuer Schatten an meiner Seite. Nicht groß, nicht lang, aber ich konnte ihn spüren. Der Respekt vor dem alten Mann und dem Spiel stieg exponential weiter an.
Ich war kurz davor mir ein Autogramm zu holen. So weit ging meine Verehrung. Sicherlich auch stark angetrieben von dem leidlichen Schuldgefühl, das mich ab dann lange Zeit begleiten sollte. Und wenn ich ehrlich bin noch heute ein Teil meiner eigenen Wahrnehmung ist. Ich empfinde diese aber nicht mehr als belastend, sondern eher als eine Herausforderung. Einen Auftrag. Wie einem Rückstand in einem Fussballspiel hinterher laufen zu müssen. Immer mit dem festen Willen, Ziel und Glauben einholen zu können. Am Ende das Spiel für mich zu entscheiden. Er bemerkte meine übertriebene Aufmerksamkeit natürlich. So wie ich ihn angestarrt habe, ließ sich das nicht vermeiden. Außer er wäre blind gewesen, was beim Boulespiel aber mehr als unüblich ist. Er sprach mich immer regelmäßiger beim Vorbeigehen in deutschen Bruchstücken an. Ich empfand diese als witzig, er auch. Dachte ich zumindest. „jawohl!“ alles klar?“ warf er mir zu und ich lachte, um ihm meine Sympathie zu verdeutlichen. Wenn der Mut mich übermannte, antwortet ich in französischen Bruchstücken, die ich auf dem Platz aufgeschnappt hatte, zurück: oui, bien joui, merci, bonjour. Nach 4 langen, heißen Sommertagen, ohne Schatten, kam er dann auf mich zu und reichte mir seine Boulekugeln. Die Zeit schien still zu stehen. Keine Zeitzeugen meiner Familie in der Nähe. Ein kleiner nicht unwesentlicher Schlüsselmoment in meinem Leben. „Du auch? Fragte er“ ich wurde knall rot, dann blass, dann wieder knallrot. Hitzewallungen und Schüttelfrost. „jjaa!Jjjjaa!Quiiii-ouiiii“ stotterte ich. Die ganze Welt schien nur auf mich zu blicken. Wie in einer 1 millionenfachen Vergrößerung unter einem Elektronenmikroskop stand ich da. Ab dem Zeitpunkt brachten mir alle alten Franzosen auf diesem Bouleplatz jeden Tag meines Resturlaubs so 10 bis 20 Minuten Boule spielen bei. Und Boule leben. Was zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. Das Spiel versteht man schnell. Es ist ja, wie gesagt, eine einfaches Spiel. Man muss die große Kugel nur nah an die kleine werfen. Aber die Atitüden des Spieles. Die Bewegungsgeschwindigkeit. Wie man seiner Kugel nachsieht. Wie nah man seinem Mitspieler kommt. Wie man sich den Boden ansieht. Wie man sich auf dem Platz verhält.
Alles das lernte ich natürlich auch. Da war nichts von Fußball Stimmung. Man fällt sich nicht in die Arme, wenn man einen guten Wurf gemacht hatte. Sondern man machte umso besser der Wurf war, ein umso selbstkritischeres Gesicht. Und wenn einem mal die Kugel entgleitet, macht man sich besser schnell über sich selbst lustig. Bevor es andere taten. Es war immer die kostbarste und schönste Zeit meines Urlaubstages. Ich wartete bis alle Begegnungen gespielt schienen und wieder meine Minuten dran waren. Seine Frau. Also die Frau von Pepe, so hieß der alte Mann, sprach fließend deutsch. Ich glaube sie war sogar Deutsche. Sie war sehr nett. Meine Eltern waren sehr glücklich, dass ich so nett aufgenommen wurde. Man merkte ihnen förmlich an, dass sie den frankophilen Therapieerfolg wohlwollend in sich aufsaugten. Aber sie behielten immer eine Distanz. Als ob sie ein schreckhaftes Eichhörnchen am Wegrand nicht verjagen wollten. Denn keines ihrer anderen Kinder war so tief in das Herz Frankreichs vorgestoßen wie ich. Ich habe Pepe natürlich nie auf die Nummer auf seinem Arm angesprochen. Nie. Aber hingesehen, habe ich ständig. Sie waren alle sehr nett zu mir. Was ich Zeitlebens nicht vergessen habe. Denn mit diesem Moment hat mir Pepe gewollt oder ungewollt etwas mit auf meinen Lebensweg gegeben. Er hat mir was in meinen Rucksack der Erkentnisse gesteckt. Wie Schokolade in die Schuhe an Nikolaus. Was ich erst viel später in seiner ganzen Auswirkung erkennen sollte: das Spiel. Die Toleranz. Die Gerechtigkeit. Die Gemeinschaft. Der Spaß. Die Gelassenheit. Das Gönnen. Bei soviel Leid, das er sicherlich erlitten hatte. Was ich natürlich auch erst viel später erahnen konnte. Hat er den kleinen Deutschen mitgenommen, zu sich genommen, an seine Seite genommen, wie ein Opa. In eine andere Welt – Frankreich. Seine schützende Aura zog einen magischen Kreis um mich. Ich war jeden Tag für Minuten einer von ihnen. Sicher und unantastbar. Unter dem persönlichen Schutz von Pepe. Der Mensch kann also verzeihen ohne dabei vergessen zu müssen. Nicht alle. Nicht viele. Aber Pepe konnte das. Es wäre ein Leichtes gewesen, an mir vorbei zu sehen. Obwohl er die Nummer am Arm trug, all die anderen Boulespieler nicht.
Nur gut, dass ich die Chance hatte, es in diesem Jahr zu lernen. Denn schon ein Jahr später weilte Pepe nicht mehr unter uns. Ich weiß es, weil wir ein Jahr darauf für ein zweites und letztes Mal mit der gesamten Familie an diesen Ort zurückkehrten. Der ohne Pepe, auch die sämtliche Toleranz des Vorjahres völlig verloren hatte. Ich wurde ignoriert und gemieden. Dann doch der Deutsche eben. Keiner bot mir mehr seine Kugeln an. Keiner wollte mit mir spielen. Als ob ich eine ansteckende Krankheit hätte. Der Junge aus dem Sumpf des Tätervolkes. So wurde ich gemieden. Das hat mich tief getroffen. Weil damit auch das Andenken an Pepe schaden genommen hat. Frankreich hat von Pepe nicht gelernt. So spielte ich dann wohl oder übel mit meinen Geschwistern am Ferienhaus. Im Sand. Die aber hatten den tieferen Sinn des Spiels nicht verinnerlicht. Die sahen damals ein Spiel. Nur als ein Spiel. Die spürten nicht die Kultur. Wie auch. Sondern sie spielten das Ganze auf ihre ganz eigene Art. Das war weniger Boule, mehr Kugeln werfen. Ich war nie mehr am Dorfplatz gesehen. Es gab keinen Grund für mich weiterhin demütigen zu lassen. Wie diese Kellner im Restaurant, nach denen man ständig Ausschau hält, denen man unablässig zuwinkt, die aber, den ich guck länger an dir vorbei und noch länger durch dich durch Blick, drauf haben. Aber wie die Kellner mir heute nicht mehr das Essen vermiesen können, so konnten mir die Boulespieler das Spiel, das Pepe mir mitgegeben hatte, nicht mehr nehmen. Es saß viel tiefer, als die Dummheit der Menschen, die mir entgegen sprang. Es wäre auch keinem aufgefallen. Sie waren wieder unter sich. Sie konnten wieder ihren gelernten Dogmen aufrechterhalten und ihre überlieferten Vorurteile aufpolieren wie die Kugeln. Das Spiel mit meinen Geschwistern aber brachte nicht den Spaß, die Verbundenheit, die durch meine Vorfreude und Erfahrungen eines Sommers zurück in mir loderte. Es war nicht mehr französisch. Es hatte auf einen Schlag an Gelassenheit verloren. Übertriebener Ehrgeiz gesellte sich dazu. Ständig wurde es laut und es wurde noch häufiger gestritten. Ganz im Gegenteil, ohne Pepe, war es als ob man meiner Lust am Boule die Kerzen ausgeblasen hätte.
Meine Eltern bemerkten meine Enttäuschung. Reagierten spontan und kauften mir meine ersten glänzenden Boulekugeln. Aber trotzdem war meine Leidenschaft bis auf weiteres abgekühlt. Es war eben nicht mehr dasselbe, sondern nur so etwas Ähnliches. Als Kind war ich sehr enttäuscht und tief berührt. Wie sich innerhalb von einem Jahr das Blatt wenden konnte. Wenden zu einem menschlich so schlechten. Die ganze Autofahrt freute ich mich auf Pepe. Aber Pepe hatte mir trotzdem meine Lektion mit auf den Lebensweg gegeben. Obwohl er das sicher nicht beabsichtigt hatte. Das Spiel musste erstmal einige Zeit ohne mich auskommen. Nach dem Ausflug in die Geschichte meiner Verbindung zum Spiel nun zum eigentlichen Spiel zurück. Man spielt es gewöhnlich mit 3 Kugeln. Aus Eisen. Die einen Durchmesser von um die 74 mm haben. Es gibt auch größere und kleinere. Je nach Handgröße, Wurftechnik und Spieleigenschaften muss man sich für welche entscheiden und fest daran glauben, es seien die richtigen. Ist man dazu noch nicht in der Lage, dann sollte man sich auch noch keine kaufen, sondern sich welche leihen. Bis man in der Lage ist, sich welche zu kaufen. Zudem haben diese Kugeln unterschiedliche Gewichte. So um die 710 Gramm. Es gibt aber auch schwerere und leichtere. Auch hier kommt die erwähnte Entscheidungsfähigkeit ins Spiel, vor dem eigentlichen Spiel. Zudem haben die Kugeln unterschiedliche Eigenschaften in Bezug auf den Härtegrad. Auch hier wird irgendwann eine Entscheidung notwendig sein. Es gibt härtere und weichere. Die weichen rosten schneller. Bekommen schneller Macken. Die harten rollen mehr, springen mehr und versinken schneller. Aber rosten nicht so schnell. Die weichen rollen weniger und titschen nicht so bei hartem Boden. Jeder Boulespieler schwört auf seine Kugeln. Denn die waren in der Regel teuer. Und die Entscheidung für die richtigen Kugelsätze hat sich sicherlich in die Länge gezogen. Die Kugelsätze ruhen in einer schönen Holzkiste oder in einem Kunstlederbeutel. Zu dem gibt es ein Cochon, auf deutsch „Schweinchen“Holzkugel. Früher war die holzfarbend. Heute ist diese grell gelb, grell grün oder grell rot. Wie mit den Tennisbällen.
Die waren auch mal nur cremefarben. Damals. Damals erinnere ich mich es war nun 1981, machte ich meine Klassenfahrt an die Cotes Azur. Genau gesagt nach St. Raphael. Das liegt bei Toulon. Alle 10 Schulklassen machen eine Abschlussfahrt. So auch die 10.4 der Gesamtschule Köln Chorweiler. Heute heißt sie Heinrich Böll Gesamtschule. Schon ein Jahr später waren wir nur noch die Hälfte in der Klasse. Die einen marschierten weiter Richtung Abitur. Die anderen in die Lehre oder zum Bund. Wir hatten die Wahl. Meine Wahl war klar und eindeutig auf Frankreich gefallen. Andere reisten nach London und Italien. Wir waren sehr viele Schüler, ich denke mal so um die 600 müssen es gewesen sein. Aus mehreren Schulen. Am Mittelmeer war ich zuvor noch nie. Deshalb fiel mir die Entscheidung leicht. Ich erwähne das, weil ich hier erneut auf Frankreich getroffen bin, in der Sehnsucht, Frankreich würde meine Liebe erwidern. In wunderbarer Form und ebenso ansehnlichen Kurven mit demselben Namen der mir schon Jahre zuvor begegnet ist - Isabelle. Sie war die Attraktive und unerreichbare Freundin des Hotelbesitzers. Der ein Mercedes Cabrio fuhr und in allen Belangen cooler war als wir. Zigaretten ohne Filter, Ricard ohne Cola und Auto ohne Dach. Er behütet sie wie einen Schatz. Und sie machte keinerlei Anzeichen, dass sie für irgendjemand erreichbar wäre. Sie fuhr regelmäßig sein Cabrio. Langweilte sich eigentlich den ganzen Tag. Räkelte und cremte sich auffällig langsam und intensiv vor unser aller Augen am Strand ein. Sobald der Rücken dran war, fragte sie immer ein anderes Mädchen am Strand. Keine Chance. Die Hälfte von uns musste sofort in die Bauchlage wechseln. Weil man sonst die anatomischen Auswirkungen hätte eindeutig erkennen können. Andere huschten schnell ins kalte Wasser. Man hätte uns Jünglinge sicher sabbern hören, wenn der sonstige Lärm nicht so laut gewesen wäre. Nach dem Eincremen, legte sie sich auf den Bauch und öffnete das Oberteil. Um nahtlos braun zu werden. Alle versuchten wir uns ihre Brüste vorzustellen. Einen Anblick zu erhaschen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren wir auf den Playboy als einzige Aufsichtsvorlage angewiesen. Die paar sonstigen Begegnungen haben keine Spuren hinterlassen.
Und alle hofften auf eine unüberlegte Bewegung von ihr. Die den Blick nur für ein tausendstel frei geben würde. Aber den Gefallen tat sie uns nicht. Sie war unglaublich hübsch. Nein sie war mehr, sie war außerordentlich schön. Alle haben sich die Augen nach ihr verdreht. Vor allem die Lehrer. Denn sie war schon 22 Jahre. Ich war gerade mal 17 geworden. 5 Jahre älter. Das war damals eine Ewigkeit. Ich bin offensichtlich spät aus der Pubertät gekommen. Ich bin auch spät rein gekommen. Pickel im Gesicht waren nicht mein Ding. Davon blieb ich weitestgehend verschont. Mädchen hatten bis zu meinem 16 Lebensjahr keine wesentliche, besser gesagt zentral, Rolle gespielt. Also keine Sexualität als Mittelpunkt des Seins. Außer Flaschendrehen und knutschen, war nicht viel passiert. Mal gefummelt. Aber mehr diletantisch. Mehr, um bei den anderen Jungs nicht als Spätzünder da zu stehen. Ich mochte Mädchen, aber außer hin und wieder durch die Vibrationen bei der Busfahrt am morgen, hatte mein Geschlechtsteil noch nicht die völlige Steuerung meines Willens übernommen. Willst du mit mir gehen? Blues tanzen auf „if you leave me now“ von Chicago. Händchenhalten. Liebesschwüre. Das war das Niveau, auf dem ich mich bis dato befand. Andere waren schon voll im Geschäft. Die erzählten ständig die gleichen Geschichten. Was sie wie mit welchen Mädchen wann und wo getan haben. Die standen dann alle Jungs wie Mädels, in der Pause auf dem Jungenklo und rauchten. Ich spielte draußen Fussball. Die lasen unentwegt Bravo. Ich fuhr Skateboard. Die hörten baycity roller, abba, sweet und so was. Ich hörte jazz und die beatles. Und wenn nicht, dann ging ich zum Fußball spielen. Oder auf die Domplatte zum Skateboard fahren. Oder machte andere Sachen. Aber Frankreich sollte mir in diesem Punkt ein weiteres Mal den weg weisen. Nach dem Boule bekam ich von Isabelle die wichtige Lektion in körperlicher Begierde. Sicherlich viel zuviel für meinen damaligen Status. Aber das kann man sich im Leben manchmal eben nicht aussuchen. Das erste Mal Fahrradfahren sah auch nicht so toll aus. Weiß nur keiner mehr. Beim Auto war das ähnlich. Warum sollte es beim Sex dann anders sein. Das körperliche Resultat dieser Lektion war, dass mir Tage lang mein bestes Stück schmerzte. Sicherlich ein Beweis meiner Ungeschicktheit und Unwissenheit. Denn Isabelle und ich haben uns 8 Stunden geliebt.
Falsch, sie hat mich 8 Stunden dazu angehalten, sie zu lieben. Und ich habe versucht, ihren Anweisungen und Wünschen zu folgen. Was mir mehr oder weniger gelungen ist. Dabei dachte ich immer auch an Isabelle die Erste. Die Brieffreundin von damals. Meinem ersten kläglich gescheiterten Versuch, dass Frankreich mich doch bitte lieben möge. Das Schicksal hatte sich offensichtlich beim ersten Mal geirrt. An der falschen Isabelle geklingelt. Was sicherlich am Namen lag. Der Zufall hat alle Hände voll zu tun, da kann man sich mal beim Namen irren. Aber Isabelle 1 und Isabelle 2 waren was völlig anderes. Das hätte dem Schicksal gleich auffallen müssen. Ich haderte nicht mit meinem Schicksal, sondern war über den Ausgang natürlich sehr glücklich. Alles passierte in einer Nacht. Denn zum einen reisten wir drei Tage später ab. Und zum anderen war nur in dieser einen Nacht, ihr Wachhund nach Nizza gereist. Ich musste sie einfach danach fragen. Denn ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich mit der Ungewißheit hätte leben müssen, hätte sie oder hätte sie nicht? In der felsenfesten Annahme und eben solcher Überzeugung, dass sie mein Bitten nach willenlosem und kopflosem Sex mit einem Jungster natürlich nicht erwidern würde, in dieser festen Annahme habe ich sie einfach gefragt. Auf französisch. Ein damals berühmter Disco Schlager kam mir da ganz gelegen. Eigentlich habe ich wie gesagt mindestens mit einer Ohrfeige gerechnet. Das ist fast so sicher wie am P1 in München nicht rein zu kommen. Man startet einen erbärmlichen Versuch, der einfach zum scheitern verurteilt ist. Sie lächelte aber nur, ihr un- verbindliches freundliches Gesicht veränderte sich merkwürdig und antworte „oui“. Und plötzlich war alles an dieser Situation und an ihr sehr verbindlich. Damit war meine bis dahin mühsam aufgebaute Weltordnung völlig durch einander. Wie die Dias im Diarad meines Vaters. Falsche Urlaube und verdrehte Bilder. Wir gingen sofort auf ihr Zimmer. Wir gingen nicht über Los, zogen keine 4.000 Mark. Die Entscheidung war gefallen, das Urteil wurde sofort vollstreckt. Es machte mir den [...Nächste Seite]
Runde Grüße
Bernd