Dienstag, 16. September 2008
Murmeln
Wer von euch kennt murmeln, das Murmelspiel? Das Ziel ist, die Murmel des Gegners aus einem Spielfeld zu befördern oder in ein Loch in der Mitte des Spielfeldes. Die Murmeln sind aus Glas und haben kunstvolle Muster. Es gibt verschiedene Größen, obwohl die Spielgröße dieselbe ist. Also, man spielt nicht mit großen und kleinen Murmeln, sondern nur mit den mittleren.
Als Kinder trafen wir uns auf dem Schulhof oder nach der Schule und jeder hatte so einen kleinen Sack voller kostbarer Murmeln. Auch ich hatte so einen Netzbeutel, der gefüllt war mit Glasmurmeln, die ich mir vom Flaschenpfand gekauft hatte.
So spielten wir um das Kostbarste, was wir hatten. Sagen wir so, das gefühlt Kostbarste, was wir hatten. Denn nichts tat mehr weh, als eine seiner Lieblingsmurmeln im Beutel eines anderen betrachten zu müssen. Der Verlust eigener Murmeln war sehr schmerzlich bis hin zu bitter. Wenn man welche gewonnen hatte, freute man sich. Aber nicht so sehr, dass man selbst mehr Murmeln hatte, sondern dass man von seinen eigenen keine hergeben musste.
Das Spiel konnte sich über Stunden ziehen. So wechselten verschiedene Murmeln ständig den Besitzer und am Ende wechselte die Eine oder Andere für länger oder sogar für immer ihren Besitzer. Technische Fertigkeiten beim Schnipsen der Murmeln waren von Vorteil, aber der Kopf spielte eine wesentlich größere Rolle.
Wer spielte mit der Angst im Finger, seine Murmel nur nicht zu verlieren, oder wer spielte mit der Lust, Murmeln zu gewinnen? Aber nicht nur die Angst oder die Lust waren eine Frage der mentalen Stärke, sondern auch, ob man die Murmeln von seinem wenigen Geld hat kaufen müssen, oder ob man einen Vater im Rücken hatte, der endlos für Nachschub sorgte? Somit stand für einige viel auf dem Spiel, für andere gar nichts. Auch das beeinflusste den Spielverlauf.
Somit haben wir schon 3 Faktoren, welche den Spielausgang beeinflussen. Die eigenen Fertigkeiten, die Herkunft der Murmeln und die mentale Stärke des Spielers. Und zwei Faktoren davon gehen über rein technische Fähigkeiten hinaus.
Und so bleibt es das ganze Leben. Meiner Meinung nach. Im übertragenen Sinne murmeln wir. Die einen mit ihren letzten, die anderen mit endlos Murmeln im Rücken. Die einen haben Angst, sie zu verlieren, die anderen können es gar nicht abwarten, welche hinzu zu gewinnen.
So ernst die Lage oft ist, im Prinzip bleibt es ein Spiel. Ein Spiel der Fähigkeiten, stark beeinflusst durch mentale und umweltbeeinflusste Faktoren.
Als Letztes gesellt sich die größte Kraft hinzu, der Antrieb. Der aus sozialem Minderwertigkeitskomplex oder bestehend aus welchem Komplex auch immer. Aus Geltungsdrang. Aus Sozialneid. Aus der schieren Gier. Aus dem unendlich großen Wunsch, überlegen zu sein. Macht über andere auszuüben. Unbedingt gewinnen zu wollen und überhaupt nicht verlieren zu können.
Denn nicht alle haben Murmeln nur um des Murmelns willens gespielt. Viele haben ihre Murmeln einfach für sich behalten. Oder haben die Murmeln nach dem Spiel wieder aufgeteilt wie vor dem Spiel. Oder haben die Murmeln geteilt, um sie nach dem Spiel wieder in denselben Beutel zu buchsieren.
Und viele hatten keine Murmeln oder keine Lust, ein Spiel zu spielen, bei dem man Gefahr lief, sein Eigentum zu verlieren. Somit könnte man viele Gespräche mit der Frage eröffnen "Haben Sie früher Murmeln gespielt?". Und wenn ja - wie?
Ich bin mir sicher, die Antwort sagt viel über die Person aus. Viel mehr als das, was Menschen versuchen, einem zu verkaufen, was sie eigentlich sind.
Ebenso die Frage, ob man im Sportunterricht immer wählen musste oder immer gewählt wurde. Oder bis zum Schluss auf der Bank verweilte. Aber das ist ein Thema für sich, dazu später.
Geschrieben von Christof Hintze
in Human Marketing
um
07:39
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Unsere Kindheit zeigt viel über unsere Zukunft, was für ein Mensch man wird, welche Verhaltensmuster man hat, etc.
Das bedeutet nicht, dass diese nie wieder änderbar wären, jedoch hat jeder Mensch eine Grundausstattung an Mustern in unserem Kopf, die wir erst im nachhinein beeinflussen.
Als ich ein Praktikum im Kindergarten hatte, wurde mir bewusst, wie sehr die Kindheit prägend für das weitere Leben ist. Jeder Mensch mit dem das Kind in Kontakt kommt, jeder Satz, welches das Kind zu hören bekommt, kann das zukünftige Leben komplett verändern.
Vielleicht sollten wir da bereits ansetzen? Um soziale Stärken auszuarbeiten, damit weniger Kinder später als Jugendliche unter Schüchternheit, Zurückgezogenheit, etc. leiden müssen.
Und das wichtigste ist ja immer noch:
Die Kinder von heute sind die Herrscher der Welt von Übermorgen.